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Mehr als ein wütender Mob

- Esther Glück –

Wie Wut und das Agieren als Gruppe soziales Engagement fördern können.

Bildungs­streik 2009: Eine Protestwelle schwappte von Wien auf Deutschland über und zahlreiche Unigebäude wurden besetzt. Die Gruppe der Protestierenden war sich einig und schrie entsprechend laut: Das Bildungs­system gehört saniert!

In der Fach­sprache bezeichnet man solche Gruppen, bei denen sich mehrere Personen primär aufgrund ihrer Über­einstimmung in einem bestimmten Thema zusammenschließen, als Meinungs­gruppen. Eine Besonderheit von Meinungs­gruppen ist es, dass der Konflikt zwischen Benachteiligten und Bevorteilten oft in den Hintergrund tritt und sowohl Betroffene als auch nicht Betroffene sich für die Erreichung eines bestimmten Ziels gemeinsam engagieren. Doch wie kommt es zu einer hohen Einsatzbereitschaft in einer so heterogenen Gruppe?

In Meinungs­gruppen bilden sich nach einer gewissen Zeit Gruppen­normen, die die Einsatzbereitschaft für die eigene Gruppe und den geforderten sozialen Wandel erhöhen. Gruppen­normen legen fest, was Mitglieder einer Meinungs­gruppe tun oder tun sollten. Die ForscherInnen Emma Thomas und Craig McGarty unter­suchten in ihrer Studie, wie sich die Gruppen­norm, wütend über einen bestimmten Missstand zu sein, auf das Engagement von Gruppen­mitgliedern auswirken kann. Sie gaben 121 Studierenden Informationen über Krankheiten, die durch kontaminiertes Wasser entstehen, sowie über die UN-Kampagne „Water for Life“, die sauberes Trinkwasser in Entwicklungs­ländern fördert. Die Studierenden sollten eine Strategie entwickeln, die möglichst viele Menschen erreicht und dazu motiviert bei der UN-Kampagne mitzuwirken. Die ProbandInnen befanden sich dabei in unter­schiedlichen Bedingungen: Entweder sollten sie allein eine Strategie entwickeln oder sie diskutierten darüber in einer Gruppe. Einem Teil der Versuchspersonen, die in einer Gruppe zusammenarbeiteten, wurden dabei zusätzlich angebliche Forschungs­ergebnisse berichtet, die zeigen, dass Menschen besonders motiviert sind einen Missstand zu ändern, wenn sie Wut über den Missstand empfinden. Diese zusätzliche Information sollte bewirken, dass die Teilnehmenden als Mitglieder einer Meinungs­gruppe diese Gruppen­norm, Wut zu empfinden, übernehmen. Anschließend wurde die Motivation gemessen, sich an Aktionen wie zum Beispiel an einer Rally für die UN-Kampagne zu beteiligen.

Generell war die Bereitschaft zur Teilnahme an diesen Aktionen in der Gruppen­bedingung höher als in der Einzelbedingung. Das bedeutet, dass allein das Agieren als Gruppe die Motivation erhöhen kann, sich zu engagieren. Die Teilnehmenden in der Bedingung mit der Wut-Information zeigten jedoch eine noch höhere Bereitschaft zur Teilnahme. Sie berichteten zudem auch höheren Erfolg und Spaß in der Gruppen­diskussion sowie einen erhöhten Glauben an die Wirksamkeit des gemeinsamen Handelns. Dies weist darauf hin, dass Wut als Gruppen­norm noch einmal das Engagement erhöhen kann.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Meinungs­gruppen und insbesondere moralische Wut soziales Engagement unter­stützen können. Möglicherweise gelingt es so auch den Bildungs­streikenden 2010 wieder für Aufruhr zu sorgen und einen Schritt dem gewünschten Ziel – der Sanierung des Bildungs­systems – näher zu kommen.

Thomas, E. F.; McGarty, C. A. (2009). The role of efficacy and moral outrage norms in creating the potential for international development activism through group-based interaction. British Journal of Social Psychology, 48 (1), 115–134.

Informationen über die UN-Kampagne “Water for Life”: https://www.unwater.org/news/water-life-decade-2005-2015

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