DE / EN

Das Verbraucher­verhalten wird von der persönlichen politischen Haltung beeinflusst

Blogbeitrag von Prof. Stahl (Lehr­stuhl für Quantitatives Marketing).

Bei einer schnellen Google-Suche findet man zahlreiche Zeitungs­artikel, in denen behauptet wird, die USA seien ein geteiltes Land, oder in denen sich auf den so genannten „Kulturkrieg“ berufen wird. Solche Artikel suggerieren, dass sich eine unsichtbare Kluft im Herzen des Landes, in den Herzen der Menschen, auftut. In der Tat gibt es einige Hinweise darauf, dass die politische Polarisierung in der US-Bevölkerung seit den Präsidentschafts­wahlen 2016 zugenommen hat und dass dieser Trend bei den Liberalen stärker ausgeprägt ist als bei den Konservativen.

Gemeinsam mit Kollegen von der ESADE und der Columbia Business School habe ich Daten über die politische Einstellung aller Twitter-Nutzer analysiert, die zwischen Februar 2016 und Dezember 2018 einem von 307 großen Markenaccounts folgten, um zu sehen, ob sich diese zunehmende Polarisierung im Verbraucher­verhalten widerspiegelt.

Wir haben auch Daten aus dem YouGov BrandIndex – einer Umfrage, in der die Befragten ihre politische Zugehörigkeit, Markenpräferenzen und Kaufabsichten im Laufe der Zeit angeben – und aus dem Nielsen Retail Scanner Data – eine Aufzeichnung der wöchentlichen Verkäufe von 27.043 Marken – aus dem gleichen Zeitraum ausgewertet.

Aus unseren Ergebnissen geht hervor, dass ein Zusammenhang zwischen der politischen Identität der Menschen und ihrem Konsum­verhalten besteht. Nach den Wahlergebnissen 2016 änderten viele Menschen ihre Markenpräferenzen und ihr Einkaufs­verhalten und gaben ihr Geld lieber Marken, von denen sie annahmen, dass sie ihre politischen Ansichten teilten.

Sowohl Liberale als auch Konservative beteiligten sich an dieser Polarisierung, aber sie war bei den Liberalen stärker ausgeprägt. Dies deckt sich mit Nachrichtenberichten und Forschungs­ergebnissen, die einen Anstieg des liberalen Aktivismus seit dem Amtsantritt von Donald Trump belegen. Es steht auch im Einklang mit dem Konzept des kompensatorischen Konsums.

Was verstehen wir dar­unter?

Frühere Forschungen haben gezeigt, dass Verbraucher Kaufentscheidungen treffen, um sich gegen wahrgenommene Bedrohungen ihrer Identität zu wehren. Diese Bedrohungen können individuell (eine direkte Bedrohung der eigenen Person), zwischenmenschlich (das Gefühl, weniger mächtig zu sein als andere) oder auf Gruppen­ebene (z. B. eine Bedrohung der eigenen religiösen Überzeugungen) sein. In jedem Fall besteht eine Bewältigungs­strategie darin, Produkte zu kaufen und auszustellen, die ein Be­kenntnis zu der bedrohten Identität signalisieren. Im Wesentlichen geht es darum, sein Geld hinter seine Überzeugungen zu stellen und damit seine Loyalität zu ihnen zu bekräftigen. Das ist, was wir unter kompensatorischen Konsum verstehen.

Im Fall der US-Präsidentschafts­wahlen 2016 hat der republikanische Kandidat gewonnen. Außerdem war ein wesentliches Merkmal von Trumps Wahlkampf und seiner späteren Amtszeit seine lautstarke und oft kontroverse Präsenz in den sozialen Medien, insbesondere auf Twitter. Dies schuf eine Situation, in der Liberale eine Bedrohung ihrer politischen Identität wahrgenommen haben könnten. Es ist daher nicht überraschend, dass sie diese durch ihr Konsum­verhalten eher stärken wollten als Konservative.

Diese Polarisierung lässt sich an der Auswahl der Marken (dem sogenannten „Markenkorb“) ablesen, denen Twitter-Nutzer in den sozialen Medien folgen. Nach der Wahl 2016 tendierte der Markenkorb, dem Anhänger der Demokraten folgten, stark zugunsten von Unternehmen, die sie als mit ihren politischen Ansichten übereinstimmend betrachteten. In ähnlicher Weise folgten während der Obama-Regierung sowohl die Anhänger der Demokraten als auch die der Republikaner mehr republikanischen Marken, was auf eine stärkere Polarisierung unter den Konservativen als unter den Liberalen hindeutet.

Aus der Perspektive der bekannten Marken haben viele erlebt, dass ihre Kunden­basis politisch homogener geworden ist. Bei Marken mit einer überwiegend liberalen Anhängerschaft hat sich diese Mehrheit vergrößert; in gleicher Weise sind konservative Unternehmen konservativer geworden.

Besonders interessant ist dies im Hinblick auf die Medien. Publikationen wie The New Yorker und The Atlantic hatten nach der Wahl eine zunehmend demokratische Anhängerschaft, während konservative Plattformen wie Fox News und Fox Business in ihrer Anhängerschaft entweder republikanischer wurden oder gleich blieben. So haben wir beispielsweise festgestellt, dass der unter der Atlantic-Leserschaft der Anteil der Anhänger der Demokraten zwischen Februar 2016 und Dezember 2018 um rund 4 Prozent gestiegen ist. Im gleichen Zeitraum hat die Leserschaft von Fox Business um etwa 5 Prozentpunkte an Demokraten verloren.

Dies deutet darauf hin, dass Menschen, insbesondere die Liberalen, zunehmend lieber Medien von Anbietern konsumieren, die eine ähnliche politische Einstellung haben wie sie selbst. Natürlich hat dies auch Aus­wirkungen, auf die wir nicht näher eingegangen sind, wie etwa die Entstehung von „Echokammern“.

Natürlich gibt es viele Gründe, warum die US-Verbraucher in ihren Kaufentscheidungen zunehmend polarisiert sind, und dieser Trend lässt sich nicht nur mit der Theorie des kompensatorischen Konsums erklären. Es ist auch wahrscheinlich, dass, wenn Marken eine politische Haltung einnehmen, dies stark beeinflusst, wer sich entscheidet, seine Produkte zu kaufen oder seine Dienstleistungen zu nutzen..

Ende 2018 startete Nike zum Beispiel eine Medienkampagne mit dem NFL-Star Colin Kaepernick, der 2016 Schlagzeilen machte, weil er während der Nationalhymne vor Spielen kniete. Wir haben festgestellt, dass dies mit einer erheblichen Verschiebung der Kunden­basis von Nike zusammenfiel, nämlich von rund 51 Prozent Demokraten auf 62 Prozent. Wir müssen also davon ausgehen, dass neben der Wahl auch andere Faktoren zu der zunehmenden Polarisierung seit 2016 beigetragen haben könnten.

Die Medien zeigen eine amerikanische Gesellschaft, die auf beiden Seiten des politischen Spektrums mit Stereotypen behaftet ist. Ein zufälliger Beobachter könnte feststellen, dass Konsumentscheidungen gelegentlich zu diesen Stereotypen beitragen. Die Republikaner stellen die Demokraten als gottlose, Atlantic-lesende, Latte schlürfende Nordstrom-Liebhaber dar. Auf der anderen Seite stellen sich Demokraten den durchschnittlichen Republikaner als schießwütigen, Budweiser-schlürfenden, fanatischen Fox-News-Zuschauer vor.

Es ist zwar interessant festzustellen, dass einige dieser Stereotypen ein Körnchen Wahrheit enthalten, da der Atlantic immer demokratischer und Fox News immer republikanischer geworden ist, aber es ist eine Frage zukünftiger Forschung zu analysieren, inwieweit, wenn überhaupt, die Polarisierung des Konsum­verhaltens die Entstehung von Stereotypen beeinflusst.

Im Moment glauben wir, dass unsere Forschung den Unternehmen helfen wird, zu verstehen, wie sich ihr Engagement in der Politik, sei es durch Stellungnahmen, unternehmerischen Aktivismus oder die Unterstützung politischer Kandidaten, kurzfristig auf ihre Kunden­basis auswirken wird.

Autor: Prof. Dr. Florian Stahl

Florian Stahl ist Professor für Quantitatives Marketing an der Fakultät für Betriebs­wirtschafts­lehre der Universität Mannheim. Außerdem ist er Inhaber des Lehr­stuhls für Quantitatives Marketing und Konsumenten­verhalten.       

Zurück