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„Die Atmosphäre ist gespenstig“

Ob im Zwei-Linien-Betrieb, einmal pro Woche oder täglich – einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind immer noch vor Ort, weil ihre Jobs Home-Office nur beschränkt oder überhaupt nicht zulassen.

Die Reinigungskräfte, Hausmeister, Beschäftigte der UB, der Poststelle und der Telefon-Hotline beispielsweise nehmen im Dienste der Universität alle ein erhöhtes Infektionsrisiko auf sich. Trotzdem hat die Präsenz vor Ort auch seine schönen Seiten.

Wenn Antje Wechsler, Assistentin der Leitung im Dezernat II, zu ihrem Arbeitsplatz in L1, 1 geht, führt ihr Weg sie durch leere Flure, vorbei an stummen Büros. Normalerweise herrscht hier Trubel, ab acht Uhr schallt das Lachen gut gelaunter Menschen durch die Gänge, es wird sich erkundigt, wie das Wochenende war, die Kaffeemaschine brummt. „Das alles ist zwar noch in meinem Kopf, aber nicht mehr da“, sagt sie. „Es ist eine bedrückende Stimmung, wie in einem schlechten Traum, aus dem man am liebsten aufwachen möchte. Von meinen Kolleginnen und Kollegen kann sich niemand vorstellen, wie sehr ich mich auf sie freue.“ Oft erwische sie sich dabei, wie sie sie länger am Telefon hält als nötig.

Einige wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie Antje Wechsler sind noch tagtäglich vor Ort zum Beispiel in der Poststelle oder bei der Telefon-Hotline, drei der sechs Dezernate arbeiten zudem im Zwei-Linien-Betrieb – eine kleine abgeschlossene Welt für sich. Das schweißt zusammen. „Früher haben wir uns kurz Hallo gesagt, mittlerweile hat sich zwischen uns eine intensive Bindung entwickelt – und das wird sicher auch nicht mehr anders“, erzählt Antje Wechsler, der eine ihrer Kolleginnen gerade einen Strauß Blumen ins Büro bringt, während sie spricht – alles auf Sicherheitsabstand, versteht sich. Auch sonst fühlt sich Antje Wechsler sicher. Die Reinigungskräfte putzen im Gebäude sehr intensiv, achten auf maximale Hygiene in den Büros und Toiletten. Angst davor, sich mit dem Virus hier drinnen anzustecken, hat sie deshalb nicht. Im Gegenteil: Sie ist froh, dass sie sich durch den täglichen Gang zur Arbeit ein Stück Normalität bewahren kann.

Ihr persönlicher Fels in der Brandung sind unter anderem die drei studentischen Hilfskräfte. „Wenn die anfangs nicht da gewesen wären, hätte ich nicht gewusst, wie wir das alles schaffen sollen. Sie sind unheimlich zuverlässig und haben sich in die neuen Abläufe sehr schnell eingearbeitet“, sagt sie. Einer von ihnen ist Ihor Kolesnykov. Normalerweise arbeitet er für die Service und Marketing GmbH, doch auch die hat ihren Betrieb einstellen müssen. Er hat sich freiwillig gemeldet, in der Verwaltung zu unterstützen. Ihor holt in der Poststelle die Briefe für Beschäftigte im Home-Office ab, scannt die wichtigen ein und verschickt sie dann per E-Mail – zwei Stunden lang jeden Tag. Der Inhalt ist nicht immer ganz ungefährlich. „Es kommen zahlreiche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an, die aus Arztpraxen stammen und von kranken Menschen verschickt wurden“, sagt er. Deshalb trage er Handschuhe und desinfiziere sich regelmäßig die Hände.

Früher kam Ihor mit der Straßenbahn zur Uni, heute geht er lieber zu Fuß – egal, wie lange es dauert. So hält es auch Sylvia Zander, die im Bereich A5 der Universitätsbibliothek arbeitet. Sie kommt jede zweite Woche mit dem Fahrrad aus Feudenheim zur Uni. Auch die UB hat sich in einem ZweiLinien-Betrieb organisiert – abwechselnd ist ein Team eine Woche lang vor Ort, während das andere von zuhause aus arbeitet. „Ich finde das Konzept gut: Im Home-Office bin ich geschützt und muss mich nicht permanent einem Infektionsrisiko aussetzen. Auf der anderen Seite bin ich nicht völlig zuhause abgeschottet und komme auch mal raus“, erklärt sie. Dass die „Bib“ schließen wird, konnte sie sich lange nicht vorstellen und auch jetzt noch ist der Anblick der menschenleeren Bibliothek seltsam. „Die Atmosphäre ist gespenstig. Wir haben hier mehrere Etagen, die normalerweise brechend voll sind“, erzählt die UB-Mitarbeiterin.

Auch für Claudius Werry ist die Stimmung vor Ort ungewohnt. Als stellvertretender Leiter des Akademischen Auslandsamtes betreut er zusammen mit seiner Kollegin Birgit Piesch das internationale Gästehaus, in dem Forschende aus aller Welt vorübergehend eine Bleibe finden. Einmal pro Woche kommt er vorbei, um das Wichtigste zu erledigen, der Rest läuft per Mail. Von 32 Wohnungen steht die Hälfte leer. Viele sind vorzeitig abgereist oder kamen erst gar nicht. Neueinzüge sind nicht mehr zugelassen.

Werry ist froh, dass er ansonsten im Home-Office arbeiten kann und darüber, wie schnell das alles ging. Vor ein paar Wochen noch fuhren er und Sandra Schmidt von den Studienbüros die in kürzester Zeit beschafften Dienstlaptops zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Dezernat II nach Hause. Werry führte die Route zu neun Kolleginnen über Ludwigshafen, Frankenthal, Ladenburg, Edingen-Neckarhausen und Ketsch wieder zurück nach Mannheim. „Das war zu einer Zeit, als es noch kein Kontaktverbot gab und kaum einer an Mundschutz dachte. Trotzdem hatte ich Sorge, sollte ich das Virus in mir tragen, meine Kolleginnen anzustecken. Meine Frau hat mir deshalb eine Maske aus einem alten Hemd genäht“, erinnert sich Werry. Kurz klingeln, Paket in die Hand drücken. Dabei sah er in frohe Gesichter.

Wann sie sich das nächste Mal wieder persönlich sehen werden, weiß momentan niemand. In einer Sache sind sich jedenfalls alle einig: Lieber einen Schritt zu wenig in Richtung Lockerung als einen zu viel, sagt auch Antje Wechsler: „Selbst eine schrittweise Öffnung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muss behutsam und mit Verstand vollzogen werden.“ (ND)

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